Beim modernen Hochbau und Ingenieurbau stehen Bauherren und Planer immer wieder vor der frage: Soll man Bauteile in Ortbeton ausführen oder auf Fertigbetonteile setzen? Beide Bauweisen haben ihre Berechtigung – sie unterscheiden sich jedoch grundlegend in Planung, Ausführung, Kostenstruktur und bauliche Möglichkeiten. In diesem Artikel vergleichen wir die beiden Methoden umfassend und erklären, wo welche sinnvoll ist.
Was ist Ortbeton?
Ortbeton ist Beton, der direkt auf der Baustelle in eine Schalung gegossen wird, dort aushärtet und erst danach weiter belastet werden kann. Die Schalung kann dabei individuell angepasst werden, z. B. für Decken, Fundamente, Stützen oder Wände.
Vorteile:
- Hohe Gestaltungsfreiheit: Freie Formen, Sondergeometrien und individuelle Abmessungen sind leicht umsetzbar.
- Monolithische Bauweise: Der gesamte Bauteile ist aus einem Guss – keine Fugen, kein Versatz.
- Einfache Anpassungen vor Ort: Änderungen in letzter Minute sind möglich.
- nahtlose Integration: Bewehrung, Einbauteile und Aussparungen können direkt eingeplant und vor Ort angepasst werden.
Nachteile:
- Wetterabhängigkeit: Temperatur, Regen und Wind beeinflussen die Verarbeitbarkeit und die Aushärtung.
- Lange Trocknungs- und Aushärtungszeiten: Die Bauzeit verlängert sich dadurch deutlich.
- Höherer Personalbedarf: Schalungsbauer, Eisenflechter und Betonhauer werden auf der Baustelle benötigt.
- Höhere Fehleranfälligkeit: Ausführung hängt stark vom Können des Baustellenpersonals ab.
Was sind Fertigbetonteile?
Fertigbetonteile (auch „Betonfertigteile“) sind industrielle vorgefertigte Bauteile aus Beton, die in einem werk unter kontrollierten Bedingungen produziert werden. Beispiel sind Treppenläufe, Stützen, Unterzüge, Wand- und Deckenelemente.
Die Bauarbeiter transportieren die Fertigteile zur Baustelle, heben sie mit dem Kran an und montieren sie direkt an der vorgesehenen Stelle.
Vorteile:
- Hohe Maßgenauigkeit & Qualität: Werkseitige Produktion garantiert gleichbleibende Standards.
- Schnelle Bauzeit. Keine Trocknungszeiten – Elemente werden „just in time“ geliefert und sofort eingebaut.
- Witterungsunabhängig: Produktion im werk macht das Bauen wetterresistenter.
- Geringerer Personalbedarf: Vor allem Montagetätigkeiten auf den Baustellen notwendig.
- Weniger Schalung auf der Baustelle: Das spart Zeit und Ressourcen.
Nachteile:
- Geringere Flexibilität: Änderungen vor Ort sind kaum möglich.
- Planungsaufwand hoch: Detaillierte Werkplanung und rechtzeitige Abstimmung mit allen Gewerken nötig.
- Transport- und Logistikaufwand: Große oder schwere Teile erfordern Spezialtransporte und Kräne.
- Planer und Monteure gestalten die Verbindungen zwischen Fertigteilen gezielt und führen die Anschlüsse sorgfältig und fachgerecht aus.
Vergleichstabelle: Ortbeton vs. Fertigteil
| Merkmal | Ortbeton | Fertigteilbeton |
| Herstellung | Auf der Baustelle | Im Werk |
| Flexibilität | Sehr hoch | Eingeschränkt |
| Bauzeit | Langsam | Schnell |
| Kostenkontrolle | Schwierig | Besser planbar |
| Qualität | Von Baustelle abhängig | Hoch, durch industrielle Fertigung |
| Transportaufwand | Gering | Hoch (große Elemente) |
| Personaleinsatz vor Ort | Hoch | Geringer |
| Witterungseinfluss | Stark | Gering |
| Nachträgliche Änderungen | Möglich | Kaum möglich |
Einsatzbereiche: Wann ist was sinnvoll?
Ortbeton eignet sich besonders für:
- Fundamente und Bodenplatten
- Kellerwände (besonders bei wasserundurchlässigem Beton)
- Gebäude mit Sonderformen oder Architekturbeton
- Beengt oder schwer zugängliche Baustellen
Fertigbetonteile sind ideal bei:
- Wiederkehrenden Bauelementen (z. B. Treppenläufe, Balkone, Wandplatten)
- Großprojekten mit straffem Zeitplan
- Industriebauten mit hoher Toleranzgenauigkeit
- Elementierten Wohnbauten oder Modulbauten
Bautechnische Aspekte
Statik und Bewehrung
- Bauleiter und Eisenflechter legen die Bewehrung bei Ortbeton vollständig durchgängig ein und schaffen so eine besonders homogene Tragstruktur.
- Planer gestalten bei Fertigteilen aktiv die Verbindungsstellen, legen Stoßbewehrungen fest und definieren Auflager, was präzise Anschlussdetails erfordert.
Fugen und Dichtheit
- Ortbeton erlaubt fugenlose Konstruktionen, etwa bei WU-Beton-Keller („weiße Wanne“).
- Fertigteile bringen naturgemäß Fugen mit sich, die sorgfältig abgedichtet oder kraftschlüssig verbunden werden müssen.
Kalkulation und Wirtschaftlichkeit
Die Kostenfrage lässt sich nicht pauschal beantworten, da viele Faktoren eine Rolle spielen:
- Ortbeton kann günstiger sein, wenn Arbeitskräfte preiswert verfügbar sind, der Bau individuell ist oder viele Unikate gefragt sind.
- Fertigbeton spart oft Zeit und Arbeitsstunden – vor allem bei Serienbauten oder gut planbaren Abläufen kann das wirtschaftlicher sein, trotz höherer Einzelkosten.
Auch die Verfügbarkeit von Fertigteilwerken in der Nähe spielt eine Rolle – weite Transportwege machen Fertigteile unter Umständen teuer oder logistisch problematisch.
Fazit: Die richtige Wahl treffen
Die Entscheidung zwischen Ortbeton und Fertigteilbauweise ist keine ideologische Frage, sondern hängt von Projektziel, Budget, Bauzeit, Architektur und Personalressourcen ab. Häufig ist auch eine Kombination aus beiden sinnvoll – z. B. Ortbeton im Fundamentbereich und Fertigteile für Decken, Treppen oder Außenwände.
Architekten und Planer müssen präzise vorplanen, besonders bei Fertigteilen, und auf erfahrenes Baustellenpersonal setzen, wenn sie Ortbeton verwenden.